Perspektivenvielfalt: Warum es Zeit ist, unsere Denkmuster zu hinterfragen
Schau dir folgendes Bild an. Was siehst du? Welche Begriffe schießen dir in den Kopf?
Unmittelbar kommt mir das Wort "Großvater" in den Sinn, gefolgt von "Enkel", "Geborgenheit" und "Dankbarkeit". Diese Begriffe beschreiben jedoch nicht die Realität, es ist nicht die Wahrheit, sondern das, was das Bild aus meiner eigenen Sicht für mich bedeutet. Diese Interpretation passiert nicht zufällig, sondern basiert auf meinen Lebenserfahrungen, den Beurteilungen und Ansichten, die ich von anderen übernommen habe oder die ich selbst während meiner Vergangenheit geformt haben - oft schon in der Kindheit.
Nun stelle dir Folgendes vor - dieses Bild (ich kenn den Mann nicht, es ist ein Stock-Foto von Unsplash, vielen Dank an Gianluca Carenza an dieser Stelle) zeigt deinen Kollegen und das Kind ist nicht sein Enkel, nein, es ist sein Sohn. Er erzählt dir beim Abschluss des Projektmeetings nebenbei, dass er beim nächsten Termin nicht dabei sein kann, da er den dritten Geburtstag seines Sohnes vorbereiten muss. Welche Begriffe kommen dir nun den Sinn? Ganz unbewusst schleichen sich bei mir neben den Worten Vater und Sohn nun auch Begriffe ein wie "Altersunterschied" oder "zweiter Frühling", begleitet von dem nagenden Gefühl des schlechten Gewissens, dass ich mich auf eine Beurteilung, ja Bewertung, einlasse.
Die Wahrnehmung ist ein äußerst subjektiver Prozess, der stark von unseren individuellen Erfahrungen, Emotionen und Vorurteilen beeinflusst wird.
In Vorträgen zum Thema Kommunikation betone ich, wie wichtig es ist, Dinge nicht zu bewerten und objektiv wahrzunehmen, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden. Doch gelingt uns das eigentlich? Die Wahrnehmung ist ein äußerst subjektiver Prozess, der stark von unseren individuellen Erfahrungen, Emotionen und Vorurteilen beeinflusst wird. Jeder Mensch sieht die Welt durch seine eigene Brille, und diese Brille kann dazu führen, dass zwei Personen dieselbe Situation völlig unterschiedlich wahrnehmen. Ein und dieselbe Szene kann von verschiedenen Menschen aufgrund ihrer persönlichen Hintergründe und Gefühle unterschiedlich interpretiert werden.
In welche Schublade hast du den Herren auf dem Bild gesteckt? War er beim zweiten Szenario in der gleichen Schublade wie in der ersten? Was passiert, wenn ich dir sage, dass sein dreijähriger Sohn sein Pflegekind ist, mit dem er jede freie Minute verbringt, um ihm für einen Abschnitt seines Lebens ein besseres Leben zu ermöglichen? Wie ändert das die Geschichte, die du dir zu diesem Menschen ausgedacht hast?
Unser Gehirn neigt dazu, vorschnell in eine Bewertung zu gehen, um potenzielle Gefahren blitzschnell zu erkennen und entsprechend zu handeln.
Fühlst du dich ertappt? Mach dir keine Vorwürfe, es geht uns allen ähnlich. Unser Gehirn neigt dazu, vorschnell in eine Bewertung zu gehen, um potenzielle Gefahren blitzschnell zu erkennen und entsprechend zu handeln. Das kann im Alltag superhilfreich sein, indem unser Gehirn auf abgespeicherte Muster zurückgreift. So versucht es, Energie zu sparen und schnelle Entscheidungen zu treffen. Und obwohl diese Tendenzen in unserer menschlichen Natur verankert sind, können wir durch bewusste Praxis und Achtsamkeit lernen, unsere automatischen Reaktionen zu verändern und eine vielseitigere Wahrnehmung zu entwickeln.
Hier sind einige Schritte, die dir dabei helfen können:
Achte auf deine Gedanken: Denke darüber nach, was du in verschiedenen Situationen denkst und fühlst. Frag dich selbst, ob du automatisch Dinge gut oder schlecht findest.
Warte einen Moment: Wenn du merkst, dass du anfängst, Dinge zu beurteilen, versuche, nicht sofort zu reagieren. Gib dir Zeit, um darüber nachzudenken und andere Perspektiven in Betracht zu ziehen.
Suche nach Beweisen: Stelle dir Fragen wie "Was ist wirklich passiert?" oder "Gibt es Beweise dafür, dass meine Meinung stimmt?" Das hilft dir, dich auf klare Fakten zu konzentrieren, anstatt auf Vermutungen.
Sieh die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln: Versuche, dir vorzustellen, wie andere Leute die gleiche Situation sehen könnten. Das hilft dir, mehr Verständnis für ihre Sichtweise zu entwickeln.
Übe es, Wahrnehmung und Interpretation voneinander zu trennen: Versuche, Situationen zu betrachten, ohne gleich zu sagen, ob sie gut oder schlecht sind. Beobachte, ohne zu bewerten.
Nun, warum ist diese Erkenntnis wichtig für die Arbeit in Teams und in Veränderungen? Weil uns das Schubladendenken limitiert! In unseren Perspektiven, unserer Empathie, unserer Kommunikation und damit in unseren Lösungsansätzen.
Gerade in der Arbeit mit Teams hilft uns eine vielseitige und objektive Wahrnehmung, denn sie ist die Grundlage für folgende Effekte:
Förderung eines offenen Arbeitsumfelds, indem Fehler zugegeben, Ideen ausgetauscht und Mitarbeitende ehrlich mit einander umgehen können.
Konfliktlösung, dadurch dass Missverständnisse gar nicht erst entstehen und Vertrauen die Basis für respektvolle Beziehungen sind
Innovation, indem festgefahrene Denkmuster verlassen werden und Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden.
Anpassungsfähigkeit durch die Offenheit für alternative Ansätze, um Veränderungen erfolgreich zu bewältigen
Mitarbeiterengagement, dadurch dass Menschen das Gefühl haben, gesehen und wertgeschätzt zu werden
Wenn wir lernen, Dinge in einem anderen Licht zu betrachten, können wir unsere Wahrnehmungen und Urteile bewusst verändern, vor allem darüber, wie wir über Menschen denken und wie wir folglich mit ihnen kommunizieren und zusammenarbeiten. Das kostet Energie, ja, aber dafür öffnet es die Welt und lässt uns Möglichkeiten sehen lernen.