Wie ich gerade glücklich sein kann
Ein Amerikanischer Dienstleister für automatisierte Gehaltsabrechnungen wirbt damit. Man sieht junge, attraktive Models, die glücklich strahlend ihre Arme in die Höhe werfen. Darunter der Slogan "A happy employee is a productive and loyal employee." Ein glücklicher Mitarbeiter ist ein produktiver und loyaler Mitarbeiter. Das Streben nach Glück ist schon lange im Business angekommen. "Glückliche Mitarbeiter = glückliche Kunden" heißt es. Unternehmensstrategien bauen darauf auf – Glück als Basis für Erfolg.
Energie, Freude, Motivation. Die beste Basis also für guten Service, innovative Ideen, Wertschöpfung.
Simon Sinek beschreibt in seinem Buch "Leaders Eat Last" den Zusammenhang von Glück und Erfolg anhand des EDSO Models, mit dem er die Wirkung von Glückshormonen beschreibt: Endorphine für unser Durchhaltevermögen, zum Beispiel ausgelöst durch Sport - oder Lachen. Dopamin, das Gefühl, dass sich einstellt, wenn wir etwas geschafft haben, Grundlage für unseren Fokus und dem Verfolgen einer Vision. Serotonin lässt uns Anerkennung spüren, wir sind stolz, dankbar und loyal gegenüber unseren Mitmenschen, wir tragen Verantwortung für andere. Und letztendlich Oxytocin, das ausgelöst wird, wenn wir Zeit mit anderen verbringen, die wir mögen, deren Hände wir schütteln, die wir umarmen. Werden diese Hormone ausgeschüttet, spüren wir Energie, Freude, Motivation. Die beste Basis also für guten Service, innovative Ideen, Wertschöpfung.
Wenn Frühling ist… Wenn die Pandemie vorbei ist…
Das Interessante – im Grunde unseres Herzens wissen wir alle, was uns glücklich macht. Das Gespräch mit der Freundin im Café, die ersten Tulpen im Frühling, die bestandene Prüfung, tanzen, der Sprung vom 10 Meter Turm, die Arbeit an einem sinnerfüllten Projekt, Kuscheln mit der Familie auf dem Sofa, Gartenarbeit, Sport…und doch knüpfen wir Glück an gewisse Ziele in der Zukunft. Wenn Frühling ist… Wenn die Pandemie vorbei ist… Wenn ich im Urlaub bin… Wenn ich das Projekt beendet habe… Und so hüpfen wir von Ziel zu Ziel und fragen uns - ja, wo ist es denn nun, das Glück?
"Glücksbringer scheinen kulturübergreifend zu gelten"
Das hat sich auch die Autorin Maike van den Boom gefragt in ihrem Buch "Wo geht's denn hier zum Glück", in dem sie ihre Reise durch die 13 glücklichsten Ländern beschreibt. Sie erhoffte sich unterschiedliche Glückskonzepte, doch – egal ob Mexiko oder Island, Dänemark oder Australien – je länger sie unterwegs war, umso mehr traten die Gemeinsamkeiten hervor. "Glücksbringer scheinen kulturübergreifend zu gelten" schreibt sie und fasst zusammen, was uns Menschen glücklich macht: Verbundenheit und Freiheit.
Es wird Frühling, die Tage werden länger, die vom RKI gemeldeten Inzidenzen werden weniger, und ich habe fast mein Ziel erreicht, bald kann ich endlich so richtig glücklich sein – als der Diktator einer Atommacht einen Nachbarstaat angreift, Menschen in Angst und Schrecken versetzt, und einen der beiden kulturübergreifenden Werte, die uns glücklich machen, verletzt – die FREIHEIT! Da geht es hin, mein Glück. Ich verfolge die Bilder tausender Flüchtlinge, Kinder auf ihrem Roller mit nur einem Rucksack auf dem Rücken und mir bleibt ein wenig das Croissant im Hals stecken. Das Gefühl der Hilflosigkeit stellt sich ein, schnell spende ich einen Betrag an eine der vielen Hilfsorganisationen und fühle mich trotzdem nur noch leer, während draußen die Krokusse blühen und die Vögel zwitschern. Die freie Journalistin Celsy Dehnert beschreibt dies auf ihrem Instagram Account die.drahtseiltänzerin als die Gleichzeitigkeit der Dinge.
"Geburtstag zu feiern, während woanders jemand stirbt. Sich das lang ersehnte Paar Schuhe zu kaufen, während die Nachbarin nebenan hungert. Die eigene Liebe zu genießen, während das Herz der besten Freundin bricht. Aber auch die Krebsdiagnose, während alle anderen den Sommer genießen. Nach dem passenden Sarg zu schauen, während jemand Babyfotos teilt. Sich selbst nach der Trennung wieder aufzusammeln, während andere Häuser bauen. Die Gleichzeitigkeit der Dinge ist manchmal kaum auszuhalten. Faschingskostüme bereit legen, während 1.600 km entfernt Bomben fallen."
Ja, und so geht das Leben unbeirrt weiter. Weil es nun mal immer weitergeht. Aus einer gewissen Lähmung heraus setze ich mich also wieder an den Rechner, erledige meine Buchhaltung, bereite Workshops vor, ein Schritt nach dem anderen, ein To Do nach dem anderen. Freue mich über ein tolles Feedback. Informiere mich über Möglichkeiten, Wolldecken, Winterjacken und dicke Socken für einen Hilfskonvoi abzugeben. Teile mir mit meiner Familie Schokotörtchen beim Italiener mit drei Löffeln. Bewundere den Mut der vielen Protestierenden, die in Russland auf die Straße gehen, in Verbundenheit für die Freiheit.
Traurig. Wütend. Ängstlich. Und gleichzeitig, im Moment, glücklich.